Türkei mit oder ohne Erdogan? Diese Frage spaltet nicht nur die Türkei, sondern auch die Türken in Deutschland
Beobachtungen vom Wahlabend in Berlin. Berlin - Auf dem Berliner Kurfürstendamm feiern Anhänger von Recep Tayyip Erdogan am Sonntagabend den Wahlsieg des türkischen Präsidenten
Sie schwenken türkische Fahnen und Banner der siegreichen Regierungspartei AKP. Währenddessen verfolgen Anhänger der größten Oppositionspartei, der linksliberalen CHP, mit zunehmend länger werdenden Gesichtern in einem Restaurant die Berichterstattung über die Wahl
Hülya Morkoyun trägt eine Brosche mit dem Konterfei von Mustafa Kemal Atatürk
Als ob die Brosche am Revers verhindern soll, dass Recep Tayyip Erdogan wieder zum Staatspräsidenten gewählt wird, dass seine islamisch-konservative AKP in der Türkei an der Macht bleibt
Morkoyun gehört zu den 1,44 Millionen wahlberechtigten Türken in Deutschland. Fast die Hälfte haben diesmal in extra eingerichteten Wahllokalen ihre Stimmen abgegeben, so viele wie noch nie
Morkoyun unterstützt die CHP-Partei, die einst von Atatürk selbst, dem Staatsgründer der Türkei, ins Leben gerufen wurde
Für die Präsidentenwahl bedeutet das: dem Hoffnungskandidaten der Opposition, Muharrem Ince, die Stimme geben
Seit über dreißig Jahren lebt Morkoyun in Deutschland, hat ihre Kinder hier großgezogen
Sie gehört zu denjenigen, die mit Frust in die alte Heimat schauen, wo Erdogan und die islamisch-konservative AKP die Geschicke der Türkei seit nunmehr 16 Jahren lenken
Was sie im Laufe des Wahlabends hört, gefällt Morkoyun nicht - und noch weniger glaubt sie daran
Erste Teilergebnisse, veröffentlicht durch die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu, deuten auf einen klaren Sieg Erdogans hin
"Es gibt viele Manipulationen", sagt Morkoyun. Die Zahlen seien nicht richtig. Selbst wenn das Endergebnis so verkündet würde, sie würde nicht daran glauben
Um sie herum stehen viele, die das ähnlich sehen. Anders sehen das zwei Männer, die zur in Deutschland starken Stammwählerschaft von Erdogan zählen
Hierzulande hat Erdogan bei den Wahlen prozentual deutlich mehr Stimmen bekommen als in der Türkei
Die Männer tragen Fez auf dem Kopf, die osmanische Kopfbedeckung, die Atatürk einst in der Türkei aus der Öffentlichkeit verbannen wollte
Sie betrachten begeistert Dutzende Autos, die hupen und türkische Fahnen schwenken
Um diese Zeit zeichnet sich bereits ein Sieg Erdogans ab, seine Anhänger feiern. Die Fez-Träger erklären, was ihnen an Erdogan gefällt
"Er redet nicht, er macht", sagt Attila, Student an der TU Berlin. Und könnten sich die Zahlen nicht doch noch ändern? "Wir glauben an Allah, und der lässt uns nicht im Stich", sagt er
Mit einem provokanten Lächeln, als ob er wisse, wie ein solcher Satz bei Deutschen ankommt
Ein anderer junger Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte, schlägt versöhnlichere Töne an
"Wir essen hier, wir trinken hier, wir arbeiten hier", sagt er. Gegen Deutschland habe er nichts
Aber er glaube eben, dass Erdogan gute Sachen für die Türkei mache. An Erdogan spaltet sich in der Türkei die Nation
Und auch in Deutschland sind die Gräben tief. Auf der Wahlparty der CHP sorgt man sich sogar darum, wie sehr sich die AKP-Wähler hierzulande abschotten
"Die Medien greifen Erdogan an", sagt ein Mann. "Und dann kommt man nicht mehr an sie ran
" Wenn das stimmt, könnte das auf lange Sicht ein Problem werden, denn auf der CHP-Wahlparty tummeln sich Menschen mittleren Alters, die AKP-Anhänger auf den Straßen Berlins wirken um Jahrzehnte jünger
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